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1.000 Möglichkeiten, zu entscheiden

Ok, ich gebe gleich schon mal zu, dass das ein reißerischer Aufmacher ist. Ich werde hier keine 1.000 Möglichkeiten vorstellen, wie Entscheidungen in Organisationen getroffen werden können. Und doch möchte ich von Anfang an klarstellen: es sind viele, sehr viele, und wir haben vor allem die Macht, uns immer neue auszudenken, eine Entscheidungskultur zu entwickeln, die genau zu uns passt.


Fangen wir mit dem Klassiker an: die Chef:in entscheidet. Wenn es sich um ein:e gute Chef:in handelt, dann wird sie sich vorher beraten lassen. Aber allen ist klar: Entscheiden ist Chefsache. Das ist durchaus sehr praktisch. Alle Entscheidungen passen gut zusammen, weil sie aus der Realität einer Person entstammen. Das Team hat einen guten Zusammenhalt, weil im Zweifel die Chef:in Schuld hat und alle schweren Entscheidungen externalisiert werden können. Das hat so viele Vorteile, dass wir es sogar richtig finden, dass die Entscheider:in dafür auch deutlich mehr Geld verdient - Verantwortung ist schwer zu tragen und das sollte entlohnt werden.


Auch sehr verbreitet ist, dass ein Prozess entscheidet, wer entscheidet. Je nachdem, in welchem Bereich wir uns befinden, gibt es ein klares Abkommen untereinander, an welcher Stelle welche Personen oder Gruppen welche Entscheidungen treffen. Auch das ist sehr intelligent, weil es Schnittstellen gut managet und sicherstellt, dass wichtige Personen und Expertisen nicht vergessen werden.


Die meisten Entscheidungen in Organisationen werden jedoch in Gruppen getroffen, in Teams oder Gremien vielfältiger Art. Und hier fallen wir oftmals auf die Illusion rein, dass es nur zwei Möglichkeiten der Entscheidung gibt: der Mehrheitsentscheid oder der Konsens. (Ich werde hier nicht auf die verschiedensten Modell von Mehrheitsentscheiden eingehen, aber da hätten wir sicher schon die ersten 20-30/1.000 geschafft.)

Spannend wird Entscheiden jedoch erst, wenn wir die gewohnten Bahnen von Chef:in, Mehrheit oder Konsens verlassen. Und da beginnt auch New Work.

Was gibt es denn noch? Manchmal ist es tatsächlich der Prozess, der entscheidet. Das funktioniert vor allem bei Ja/Nein Entscheidungen ziemlich gut. So werden beispielsweise Webseiten automatisch vom System veröffentlicht, wenn drei Programmierer:innen den Code geprüft haben. Hierbei ist es gar nicht so wichtig, welche drei genau es sind. Auch das ist natürlich eine Art von Mehrheitsentscheid, aber nicht der Anwesenden sondern der Aktiven. (Auch werden immer mehr Entscheidungen durch Algorithmen getroffen, aber das ist ein Blogbeitrag für die Zukunft).


Doch welche Entscheidungsmodelle gibt es für Menschen in Gruppen? Systemisches Konsensieren zum Beispiel. Vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig, dass wir alle immer mit allem total einverstanden sind. Schwierig wird es jedoch dann, wenn es starken Widerstand gibt, denn dann werden wir viel Kraft in Diskussionen und ggfs. sogar Boykotten verlieren. Das systemische Konsensieren misst daher nicht das Einverständnis, sondern den Widerstand. Und die Lösung, die (mehrheitlich) den wenigsten Widerstand hat, wird dann genommen.


Immer häufiger arbeiten Organisationen im Konsent. Der Konsent unterscheidet sich bei allen Gemeinsamkeiten doch grundlegend vom Konsens: Bei Konsensentscheidungen wird ein Vorschlag nicht umgesetzt, wenn nicht alle damit einverstanden ist. Die Normeinstellung ist daher das Nein, was bedeutet, dass eine einzige Person allen Fortschritt verhindern kann. Im Konsent wiederum ist die Normeinstellung das Ja. Ein Vorschlag geht in die Umsetzung, wenn niemand sein Veto-Recht geltend macht. Dieses Veto-Recht gilt zudem nur, wenn es sich um einen schwerwiegenden Einwand handelt. Ein "gefällt mir nicht so richtig" kann das Handeln anderer nicht aufhalten. Konsentprozesse basieren auf einer eigenen Form der Moderation, in der nach einer Meinungsrunde die Moderator:in konkrete Vorschläge in die Runde gibt und sie so lange anpasst, bis es keine schwerwiegende Einwände mehr gibt. So wird sichergestellt, dass alle gehört werden, niemand aber ausgebremst wird.

Einige Organisationen sind besonders mutig und radikal: Wer ein Veto einlegt, muss es selber machen.

Der Konsens steht in unserer Satzung als Entscheidungsmodus bei Satzungsveränderungen. So stellen wir beispielsweise sicher, dass jede:r von uns es stoppen kann, wenn die anderen plötzlich doch zu einem egoistischen Gewinnmodell wechseln wollen.


Im Team haben wir uns auf das Prinzip der beratenen Entscheidung festgelegt, alle Entscheidungen sind in den Händen von Einzelpersonen. Das bedeutet, dass wir viel Aufmerksamkeit in die Frage investieren, wer welche Rolle hat, so exakt aufgeteilt, dass alle Teammitglieder miteinander verwoben sind und doch immer klar ist, welche eine Person gerade zuständig ist. Die Rolleninhaber:in ist darf und muss dann alleine entscheiden, allerdings erst, nachdem sie sich mit allen beraten hat, die von der Entscheidung betroffen sind und sich ggfs. externe Expertise hinzugezogen hat, wenn sie sich nicht informiert genug für eine gute Entscheidung fühlt. Ich erwähne das entscheiden müssen deshalb, weil es gar nicht so leicht ist, entscheiden zu müssen, wenn die Beratungen weit auseinander klaffen. Der Deal ist: wenn Du mich in meiner Beratung wirklich gehört und ernst genommen hast (keinerlei Pseudo-Beratung), dann unterstütze ich Dich in Deiner Entscheidung, auch wenn Du das genaue Gegenteil meiner Beratung entscheidest. Das wiederum klingt erst einmal sehr schwer, ist es aber im Alltag meistens nicht, denn eigentlich ist es sehr genüsslich, wenn ich mich nach der Beratung wieder meinen eigenen Themen widmen kann. Und wenn es mich dann doch beim Arbeiten stört, kann ich ja nach einer Zeit der Erfahrung erneut beraten.

Entscheiden, wie wir entscheiden, ist auf jeden Fall eine der wichtigsten Entscheidungen einer Organisation.

(Und ja, mir ist bewusst, dass ich in einem Satz dreimal Entscheiden genutzt habe, aber daran kann man eben auch erkennen, wie wichtig das ist). Wenn unklar ist, wer wann was wie entscheidet, treten nicht nur viele Konflikte, Verwirrungen und Doppelarbeiten auf, sondern es arbeitet sich dann quasi von alleine eine Art von Entscheidungselite heraus, die, oftmals sogar ohne es zu wollen, die Macht übernimmt. Zudem werden dann nur noch die Lauten gehört und ein großer Teil der Expertise in der Organisation geht verloren.


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