„Die Working Evolutions ist schon ein seltsamer Verein“, sagt mein Mann überraschend beim Frühstück. Und isst in Ruhe weiter. Ich werde kurz sauer. „Das geht nicht, Du kannst nicht eine Wertung abgeben und sie nicht erklären.“ „Naja,“ versucht er eine Erklärung, „Ihr seid 6 Leute oder, keine:r Vollzeit?“ - „Ja“, sage ich. „Und eine ist seit 6 Monaten krank, eine nach Indonesien gezogen, einer hat nie Zeit und Du sprichst seit 9 Monaten nicht.“ „Ja“, sage ich, und weiß noch immer nicht, was er eigentlich sagen will. Und plötzlich habe ich einen Verdacht: „Du denkst, da kommt nichts bei raus, oder? Das Gegenteil ist der Fall, da kommt total viel bei raus.“ „Wirklich?“, wundert er sich. Und mir wird schlagartig bewusst, dass das ja vielleicht wirklich erstaunlich ist.
Die Working Evolutions überlebt irgendwie alles, ohne sich selbst zu traumatisieren.
Ende 2019 gegründet sind wir durch eine Pandemie in der Gründungsphase navigiert, durch den Abschied eines zentralen Teammitglieds, durch ein chaotisches Corona-Förderprojekt, das Last-Second-Wegfallen von Finanzierung einhergehend mit der Sicherheit des Endes, gehen jetzt aktuell durch die akute Langzeiterkrankung von zwei Teammitgliedern, haben einen Geschäftsführer:innenwechsel vor uns und keine Ahnung, wie es ab Mitte 2023 finanziell weitergeht. Irgendwie sind meistens nur 1,5 Stellen arbeitsfähig im Einsatz, mit ein wenig Unterstützung der anderen.
In diesen 2,5 Jahren haben wir mehrere Aufträge abgearbeitet: Die Plattform New Work Oberlausitz umgesetzt, eine Innovationsplattform für Unternehmen programmiert, 10 Produkterfindungen inklusive Marktrecherche aufbereitet, ein Konzept für eine Kulturwandel-App erstellt, Personas aus Tiefeninterviews mit Kund:innen erstellt. Wir haben im Rahmen eines Förderprojekts die (3D)-Ausstellung "Besser Anders Arbeiten" gebastelt.
Gleichzeitig haben wir die Organisation aufgebaut, unsere eigene Webseite mit einem New Work Lexikon zur Orientierung im Begriffsdschungel gestaltet, uns als Team gefunden und viel Arbeit in unsere Verfassung und die Radikalität unseres selbstorganisierten Ansatzes investiert. Wir haben zwei Kartenspiele entwickelt, die Menschen und Organisationen helfen, ihre Werte und Kompetenzen zu reflektieren.
Wir haben sieben Förderanträge gestellt und nach den Ablehnungen beschlossen, aus eigener Kraft voranzugehen. So entsteht Stück für Stück die Plattform, ohne Förderung oder Auftrag, für die wir sogar einen New Work Award 2021 gewonnen haben.
Und doch ist mein Mann nicht der Einzige, der denkt, dass da doch nichts bei rauskommen kann. Auch in unserem Zuhause, auf dem LebensGut Pommritz, haben wir eher den Ruf, zu chillen und zu lachen. Ganz offensichtlich sehen wir nie so aus, als würden wir arbeiten. Nicht selten sind wir mit Aussagen konfrontiert, wie gut wir es haben, dass wir so entspannt sein können.
Doch heute denke ich, Entspannung und Freude sind das wirkliche Gesicht von Effizienz und Resilienz.
Wir haben einfach keine Ressourcen übrig für Stress. Eben weil wir in einem System mit so wenigen Arbeitsstunden agieren, ist der Einsatz dieser Zeit immer wohlüberlegt. Vor ein paar Tagen kam beispielsweise eine verzweifelte Nachricht von Flo, der gerade an einer großen und harten Deadline arbeitet: „Ich programmiere gerade nur Errormeldungen.“ „Hör sofort auf zu arbeiten“, war meine Antwort. „Ok, hands off“, schrieb er sofort - und ab aufs Fahrrad. Wir haben einfach keine Zeit, unsere kostbare Zeit mit arbeitsunfähigen Zuständen zu vergeuden, die später Mehrarbeit und schlechte Qualität erzeugen. Unsere Arbeitszeit ist kostbar. Und doch ist das verbreitete, erwartete Gesicht der Effektivität eines, in der Menschen total hektisch und gestresst rumwuseln und nicht wie wir mit dem Laptop unter der Palme sitzen oder gemeinsam im Gras umgeben von Pferden - denn egal, wo wir sind, wir alle laden in der Natur auf. Vielleicht ist es an der Zeit, das innere Bild von Effizienz zu verändern, vom hektischen Großraumbüro in Metropolen zu entspannten Menschen auf einer Wiese oder im Schlafanzug am Schreibtisch.
Für mich ist die Antwort auf die Frage, warum wir mit so wenig Arbeitszeit so viel Ergebnis produzieren, einfach: Weil wir Zeit zum Arbeiten haben.
Wir haben keine Verwaltung, keine Meetings, keine Gruppen(entscheidungs)prozesse und keine Menschen mit der Macht, uns unsinnige Aufgaben auf den Tisch zu legen. Wir haben die Freiheit und die Verantwortung, uns selbst immer wieder auszurichten an dem, was gerade wichtig ist. Wir müssen nie auf etwas oder jemanden warten. Wir arbeiten. Das ist manchmal durchaus einsam, vor allem, da wir alle an verschiedenen Orten sind. Und ja, wenn wir dann zusammenkommen, dann genießen wir jede Minute, chillen und lachen und sorgen dafür, dass wir tief verbunden wieder auseinandergehen. Und halten es eben aus, dass andere davon ausgehen, dass wir nichts leisten. Denn wir haben ja trotz oftmals widriger Umstände genug an fertigen Produktionen, um zu wissen, dass dem nicht so ist.
Mein Mann freut sich für die Welt, als er das alles hört. Und ich muss schmunzeln. Denn in dieser Arbeitsweise ist ein Paradoxon eingebaut: Wir sind deshalb so effizient, weil unser Drang, wirksam zu sein, so groß ist. Wäre unser Ziel, effizient zu sein, wären wir es wahrscheinlich gar nicht. Wir würden anfangen, extra Arbeiten zu verrichten, um die Effizienz zu steigern, statt unsere Zeit gradlinig in die Produkterstellung zu investieren. Effizienz und Resilienz sind quasi Abfallprodukte des Sinn-orientierten, selbstbestimmten Arbeitens. Deshalb scheitern auch fast alle New Work Vorhaben, deren Hauptmotivation die Steigerung der Effizienz ist. Das fast absurde Learning ist einfach: Versucht nicht, effizient zu sein. Sorgt nur einfach dafür, dass Menschen Zeit haben, an dem zu arbeiten, was sie wichtig finden, radikal und kompromisslos. Und dann, wenn Ihr den Begriff der Effizienz fast vergessen habt, merkt Ihr plötzlich, dass er bei Euch längst zuhause ist.
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