In unserem Team arbeiten zwei Personen, die mit einer chronischen Krankheit ihr Leben bestreiten. Sie kennen sich gut, wissen, was sie brauchen und wo ihre Grenzen liegen und haben die Möglichkeit, ihre Arbeit genau an alle Bedürfnisse anzupassen - wie alle anderen Teammitglieder auch. Es fällt bei uns daher kaum auf. Doch wenn wir auf unsere Geschichten seit den Diagnosen zurückgucken, war Arbeiten immer ein riesiges Thema, gefüllt mit Scham und Ängsten.
Wir haben für uns Lösungen gefunden - viele andere auch. Daher haben wir beschlossen, unsere eigenen Geschichten zur Verfügung zu stellen und andere Menschen zu interviewen, denen ebenfalls die Integration von Krankheit und Arbeiten gelungen ist. Die Wege sind vielfältig - Angestelle und Freiberufler:innen, heimlich oder offensiv, mit Hilfe ihrer Organisation oder im kontinuierlichen Kampf um Augenhöhe. Doch was sie alle gemeinsam haben, ist die Entscheidung, Teil der Arbeitswelt zu sein und kein Leben auf dem Sofa anzustreben. Denn nein, chronisch Kranke gehören (im Gegensatz zu akut Kranken) nicht ins Bett. Wenn auch Du ein Arbeitsleben mit Krankheit eher gut jonglierst, dann melde Dich sehr gerne bei Jule - juliane.wuensche@working-evolutions.org.
Warum nennen wir die Plattform, die in den nächsten Monaten entstehen wird, "gesunde Kranke"? Weil es einen großen Unterschied gibt zwischen der Anwesenheit von Krankheit und der Abwesenheit von Gesundheit. Im Sinne der Pathogenese sind wir krank, einfach weil wir eine Krankheit haben. Im Sinne der Salutogenese können wir jedoch, wenn wir unsere Krankheit gut integriert haben, durchaus gesund sein. Laut Antonovsky sind wir dann gesund, wenn wir ein Leben gestalten, das genau zu uns passt. Hierzu gehören drei Komponenten: wir können unser Leben verstehen; wir haben das Gefühl, unser Leben handhaben zu können; wir finden das, was wir tun, sinnvoll. Kommen alle drei zusammen, entstehen Kohärenz und Resilienz, die Grundlagen von Gesundheit. Ich kann also eine Krankheit haben und doch gesund sein. Gesunde Kranke haben ihre Krankheit und ihre Einflüsse auf ihr Leben wenigstens in groben Zügen verstanden; sie haben sich ein Leben eingerichtet, dass sie handhaben können, das sie weder konstant über- noch unterfordert; und sie haben eine Lebensform gefunden, die sie Sinn empfinden lässt.
Welche Formen genau gesund Kranksein im Arbeitsleben haben kann, wollen wir nun anhand von Geschichten erforschen.
"Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten," schrieb Erich Fromm. Worauf er uns damit hinweisen möchte, ist, dass sich die Menschen, die in kranken Systemen (die sich z.B. mehr an wirtschaftlichem Fortschritt als an Menschlichkeit orientieren) nicht krank werden, von sich bereits sehr entfremdet haben. Was heißt das für uns? Wenn wir die Leute rausnehmen, die auf das kranke System mit Krankheit reagieren, bleibt niemand übrig, der kranken Systemen bei der Genesung helfen kann - einfach, weil niemand es mehr merkt.
Wir plädieren daher ganz deutlich für die Integration von gesunden Kranken in Organisationen: hauptsächlich natürlich, weil Krankheiten nur in den wenigsten Fällen die Expertise beeinträchtigen. Doch eben auch, weil sie ein wichtiges Medium von gesunder Organisationsentwicklung sind - nicht nur Menschen können von Krankheit lernen, sondern auch Organisationen.
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