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Mental Load vs. Transparenz

Im Rahmen von Diskussionen zum Gender Care Gap (wie ist die Organisation der Familie auf die Erwachsenen verteilt) wird der Begriff der Mental Load gerade viel beachtet. Hierbei geht es nicht ums Handeln (wer macht was?), sondern vorrangig ums Denken (wer hat was auf dem Schirm?). Als Mutter erleichtert mich dieser Diskurs sehr, weil es mir eine Sprache für das gibt, was ich über so viele Jahre gemacht habe: Wissen, welches Kind wann und wo sein muss, welche Schulprojekte gerade anstehen, wer was isst, was eingekauft werden muss, wer Trost oder Ermutigung über längere Zeit braucht, welche Beziehungen gerade wirken etc. etc. etc.. Doch ursprünglich kommt der Begriff aus dem Arbeitskontext. Schon vor 50 Jahren fanden die ersten Untersuchungen darüber statt, welche gesundheitliche Auswirkungen diese andauernden ´inneren Listen´ in einigen Berufsgruppen haben.

Lasst uns also bei allem Hochhalten von Transparenz auch über die Nebenwirkung sprechen: das Anhäufen von Mental Load, wenn wir im Team voneinander einfach zu viel wissen.

Ich habe mich letztens dabei ertappt, wie ich im Bett lag und über das Design von Social Media Posts nachgedacht habe. Ich habe keinerlei Rolle bei uns, die davon irgendwie tangiert ist. Ich würde hier nicht einmal um Beratung gebeten werden. Und doch fühlte ich mich plötzlich diffus zuständig dafür, dass es ein gutes Design gibt. Es war auf der Liste von Dingen gelandet, die ich im Blick behielt und "aufpasste", dass die Entwicklung auch zu einem guten Ergebnis kam. Social Media Design hatte sich in meine Mental Load eingeschlichen. Doch wie?


Ein großer Teil der Antwort liegt natürlich in meiner Persönlichkeit. Ich sammle herumliegende Verantwortung direkt ein, wenn ich nicht bewusst darüber nachdenke. Und wenn jemand um Hilfe bittet, muss man mich an die Leine nehmen, damit ich nicht übernehme. Wenn es dann auch noch ein Thema ist, das mit Kreativität zu lösen ist, geht sofort mein komplettes, inneres Künstler:innenteam an. Also ja, ich bin besonders anfällig für Mental Load, keine Frage.

Doch es gibt auch ein paar strukturelle, systemische Aspekte, die die Mental Load Last im Team unnötigerweise erhöhen, allem voran Informationen oder Bitten ins gesamte Team.

Unsere Arbeitsweise schreibt uns eigentlich vor, immer erst zu überlegen, wer von einer Entscheidung betroffen ist und nur diese Menschen auch um Beratung zu bitten. Da wir Beratungen sehr ernst nehmen, tauchen wir dann tief ein in den Arbeitsbereich eine:r Kolleg:in und tauchen auf aus unseren eigenen Aktivitäten und unterbrechen unsere eigenen Denkprozesse für eine Weile. Das sollten nur die Menschen tun, die einen wichtigen Beitrag haben. Und doch ist es manchmal so einfach und schön, einfach alle zu fragen oder alle zu informieren. Und dann schaltet unsere digitale Teamplattform automatisch die Nachverfolgung an. Und so reichte eine Frage an @workingevolutions, ob uns ein Post gefällt, um das gesamte Thema auf meine innere Liste zu schreiben. Bei jedem kleinen Facebook-Post erhielt ich eine Meldung und weil ich ich bin, habe ich dann auf die Frage (die mich gar nichts anging) geantwortet und bin immer tiefer mit in die gedankliche Verantwortungsübernahme gerutscht. Irgendwann war ich so Teil des Diskurses, dass ich sogar namentlich um Beratung gebeten wurde, obwohl ich hier noch immer keinerlei Rolle habe. Bis mich Flo mit dem Hinweis, dass ich da auf das Glöckchen-Icon klicken kann, um den Thread zu de-abonnieren, technisch gerettet hat und ich auf Entzug gehen konnte - was gar nicht so leicht war.

Zudem ist Stress ansteckend. Je gestresster wir sind, je weniger reflektieren wir. Je weniger wir reflektieren, je mehr wenden wir uns an das gesamte Team und verbreiten den Stress unter allen.

"Ich habe gerade zu viel zu tun, um auch noch über Rollen und so nachzudenken", war vor kurzem Thema. Wir haben uns versprochen, diesen Stressimpuls in uns als den Moment zu verankern, in dem wir spätestens über Rollen nachdenken. Individuell bedeutet er wahrscheinlich, dass ich zu viele Rollen übernommen habe und harte Priorisierungen gefragt sind. Kollektiv bedeutet es aber eben ansteckender Stress, da ich nur aus dem Blick auf die Rollen heraus entscheiden kann, wen ich um Beratung bitte und wen nicht. Wenn ich das nicht mehr mache, frage ich mal eben "das Team" und ziehe andere aus ihren Prozessen heraus und erhöhe ihre Mental Load - und schwäche damit versehentlich die gesamte Organisation.


Nun verhalten wir uns alle sehr unterschiedlich, wenn das Verhältnis Transparenz / Mental Load ins Ungleichgewicht kippt. Einige von uns ziehen sich dann eher aus der (digitalen) Kommunikation heraus, was dann wiederum Transparenzschwierigkeiten zu anderen Themen mit sich bringt. Andere, wie ich, merken es lange gar nicht und quatschen fröhlich überall weiter mit. Andere vergessen die Grundsätze der Selbstorganisation und beginnen, immer mehr im Team zu besprechen und zu entscheiden. Bei anderen weckt es alte Führungsimpulse, denn wenn wir alle überall mitreden, können wir ja auch überall mitentscheiden. Bei anderen wiederum weckt es den Wunsch nach Leitung, da es einfach zu viel für einen Kopf ist und irgendjemand endlich aufräumen muss.


Ja, wir müssen viel voneinander wissen, wenn wir als Netzwerkorganisation emergent funktionieren wollen. Wir müssen einander aber auch vor den vielen Details schützen, die unsere Köpfe unnötig anfüllen.

Das elementare Gleichgewicht zwischen Transparenz und Mental (Over)Load gehört zum Alltag einer jeden Organisation. Disziplinierte Rollenklarheit hilft, diese Balance täglich herzustellen. Und der Respekt, immer wieder zu überlegen, wen ich aufgrund ihrer oder seiner Rolle informieren oder um Beratung bitte.

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