In modernen Unternehmen kommt es nicht selten vor, dass Schilder vor der Tür hängen, die uns ermutigen, Krawatten und Ego vor der Tür zu lassen. Doch oftmals erscheint es, als würden sie nur dazu aufrufen, eine neue Rolle zu spielen. Die der kreativen, unkonventionellen Super-Innovator:in zum Beispiel. Wir sind es gewöhnt, nicht als ganze Menschen zur Arbeit zu erscheinen und uns an das anzupassen, was in der jeweiligen Kultur als professionell definiert wird. Der Rest von uns bleibt tatsächlich vor der Eingangstür.
Was, wenn nun aber klar wird, dass viele New Work Ansätze tatsächlich nur dann funktionieren, wenn wir echt sind, ganz sind, keinem professionellen Bild entsprechen sondern tatsächlich authentisch sind? In der Regel geht dann zuerst eine große Sehnsucht an, die Schultern entspannen sich, Vorfreude kommt auf.
Doch im Alltag wird schnell klar, wie herausfordernd "echt sein" wirklich ist, wieviel Mut es erfordert und wie wenig Halt es uns gibt.
Eine professionelle Rolle hat tatsächlich, bei aller Einengung und auferlegten Konformität, durchaus Vorteile: wir haben eine Grundidee davon, auf welcher Basis wir bewertet werden und können uns daran anpassen. Das gibt uns das Gefühl (von falscher Sicherheit?), dass wir kontrollieren können, ob wir abgelehnt werden. Und selbst wenn wir dann kritisiert werden, ist es ja auch nur die professionelle Rolle, die wirklich ihr Fett abkriegt, ich als ganzer Mensch bin ja gar nicht betroffen - können wir dann jedenfalls versuchen, uns einzureden. Doch wie soll ich damit umgehen, wenn die Kultur von mir "Echtsein" erfordert? Natürlich macht es mich verletztlicher, wenn ich mich zeige, mit all meinen Meinungen, Emotionen und Superkräften. Wenn ich mich nicht mehr kleiner machen darf, um mich zu verstecken und andere nicht zu verärgern. Wenn ich mich nicht mehr größer machen darf, um im Vergleich zu bestehen. Wenn das Wohlergehen einer Organisation davon abhängt, dass ich respektvoll aber doch wirklich ehrlich bin. Wenn ich die Gespräche führe, vor denen ich vielleicht Angst habe, weil ich nicht weiß, wie das, was ich zu sagen habe, auf andere wirkt. All das erfordert viel Mut.
Doch das eigentlich Schwierige am Echt-sein ist die vielleicht zentralste Frage aller Traditionen: wer bin ich?
Ich kann tatsächlich nur den Mut fassen, etwas von mir zu zeigen, wenn ich auch weiß, dass ich es habe. Echtsein erfordert demnach einen kontinuierlichen Prozess der Selbstreflexion, in dem ich mich Stück für Stück selbst besser kennenlerne und mich so anderen Stück für Stück besser zeigen kann. Es reicht eben nicht, zu wissen, was ich an anderen störend oder bewundernswert finde. Wenn das Ziel "echt sein, ganz sein" ist, muss ich herausfinden, was das mit mir zu tun hat. Ich muss den inneren Weg zum Ich-Satz gehen. Was genau passiert hier eigentlich mit mir?
Denn Echtsein ist nie, anderen zu erzählen, was an ihnen richtig oder falsch ist, sondern immer, welche meiner Prozesse durch ihr So-sein angeregt werden.
Mein persönliche Herausforderung in dem Team ist, dass ich die Inhaberin einer zentralen Rolle bin: "gelb hüten" steht auf dem Zettel, verständlicher wahrscheinlich mit der Übersetzung "Verfassung hüten". Ich habe momentan die Rolle inne, immer einmal wieder auf die Meta-Ebene zu gehen und nachzusehen, nachzudenken, nachzuspüren, ob wir uns an unsere grundlegenden Verabredungen halten, die unseren Freiraum und unsere Verlässlichkeit definieren. Es gibt diese Rolle, weil wir wissen, dass es ganz leicht ist, in alte Muster zurückzurutschen, uns beispielsweise plötzlich tausend Regeln zu geben, massenhaft Prozesse, Strategien und Tools einzuziehen oder ganz viel zusammen und im Konsens zu machen zu wollen. Doch so schön und objektiv diese Rolle klingt, ist das, was ich finde natürlich meins - und ich muss mich nicht nur mit meinen Meinungen und Werten ganz deutlich zeigen, ich muss sogar die anderen "kritisieren", mich in den Weg stellen, Nein sagen (und ich kann tausendmal besser ja sagen als nein, glaubt mir). Jedesmal kämpfe ich gegen meine Angst, die anderen zu verletzen, nicht mehr gemocht zu werden, eine mir unbekannte Grenze zu verletzen. Jedes Mal möchte ich das, was ich sage, ein wenig verwässern und ein Schleifchen drum binden, etwas weniger von meiner Echtheit zeigen, mich ein wenig schützen. Jedesmal überwinde ich mich jedoch - und das Einzige, das mir hier Sicherheit gibt, ist das Vertrauen, dass die anderen genauso echt mit mir sein werden, wie ich es mit ihnen bin. Nur, weil ich darauf vertraue, dass sie sich mir auch mit Verletzungen (und Verletzlichkeit) zeigen werden, kann ich mich zeigen.
Ehrliches Feedback ist die größte Unterstützung, die wir einander auf dem Weg zum Echtsein geben können. Es gibt uns Sprache, Impulse - und wir lernen ganz viel über die Person, die das Feedback gibt. Diese Schleife des kontinuierlichen Feedbacks, die daraus entsteht, wenn wir wahrhaftig sind und wahrhaftig aufeinander reagieren, hilft uns, uns selbst und einander besser kennenzulernen. Oftmals wird Feedback jedoch falsch interpretiert, als würde es Aussagen über die Person zutage fördern, die es erhält. Die Person jedoch, die sich mutig und ganz zeigt, ist die Person, die Feedback gibt.
Denn Feedback ist mein Geschenk an die anderen, meine reale Wahrnehmung mit ihnen zu teilen. Das sagt alles über mich und nichts über die anderen aus.
Mike Robbins, Autor des Buches "Sei Du selbst, alle anderen sind schon vergeben", erklärt anhand von Geschichten den Unterschied zwischen Ehrlichkeit und Authentizität und was passieren kann, wenn wir uns wirklich zeigen (leider ohne deutsche Untertitel und mit ein wenig Rauschen im Ton).
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